Stationen

Samstag, 29. Oktober 2016

Jörg Baberowski


Basler Zeitung: Herr Baberowski, die FAZ schrieb, man zucke immer wieder zusammen, wenn man mit Ihnen spreche. Auf was müssen wir uns einstellen?
Jörg Baberowski: Journalisten mögen solche Einleitungen. Sie glauben, die Interviews würden besser, wenn man den Interviewten als Enfant terrible einführt.
Sie kritisieren solche Techniken als Symptome einer enthemmten politischen Korrektheit und bezeichnen Deutschland als ein «Reich der Tugendwächter». Wie kommen Sie zu diesem Urteil?
Vor einigen Tagen erschien im Tagesspiegel ein Artikel. Darin heisst es, der Historiker Baberowski dürfe sich nicht zu Fragen äussern, für die er kein Experte ist – als ob Frau Merkel als Physikerin eine Expertin für ihre Flüchtlingspolitik wäre! Ergänzt wird dieser Vorwurf mit dem absurden Hinweis, es mehrten sich die Vorwürfe, dass ich der rechtsextremen Bewegung angehöre. Die Technik ist immer die gleiche: Der Kritiker wird stigmatisiert, ausgeschlossen und erledigt. Die Tugendwächter interessieren sich nicht für Argumente. Sie wollen abweichende Meinungen ­kriminalisieren.
Sie können in grossen Zeitungen Ihre Meinungen äussern. So schlimm kann es nicht sein.
Das gelingt nur, weil in meinen Büchern nichts Verwerfliches steht – und weil es mir nichts ausmacht, mich dem Licht der Öffentlichkeit auszusetzen.
Aber Sie stürzen sich doch regelrecht auf unangenehme Themen, auch in Ihren Büchern: Stalinismus, Gewalt, jetzt die deutsche Flüchtlingsdebatte.
Einer muss es machen.
Das klingt wie Toiletten putzen.
Glauben Sie mir, es macht keinen Spass, eine Zeitung aufzuschlagen und zu lesen, man sei Rechtsextremist. Da schlafen Sie erst einmal drei Nächte lang schlecht. Freunde und Kollegen registrieren natürlich, was mit einem passiert, der sich nicht anpasst. Das intellektuelle Milieu in Deutschland ist nicht mutig. Nur hinter verschlossenen Türen sagen manche noch, was sie wirklich denken.
Sie haben einfach mehr Mut?
Ich habe keine Angst, ich sage, was ich denke. Wer exponiert sich denn sonst?
Wir können nicht einschätzen, ob sich Ihre Kollegen bloss vor negativen Reaktionen fürchten – oder ob sie einfach anderer Meinung sind.
Als im September ein Artikel von mir in der FAZ erschien, erhielt ich 500 Mails von intelligenten Bürgern, ­darunter Dutzende von prominenten Universitätsprofessoren, die nicht genannt werden wollen. Manche sind nicht unglücklich darüber, dass jemand die Schweigespirale bricht.
Angenommen, Ihr Befund trifft zu: Wie ist diese Schweigespirale entstanden?
Wer sich öffentlich äussert, muss sich fragen, ob er sich Schmutzkampagnen aussetzen will, auf Twitter und Facebook, auf Flugblättern – und ob er im Fernsehen erscheinen möchte. Wenige Menschen halten das aus.
Aber das gilt auch für andere Länder.
In anderen Ländern müssen Intellektuelle nicht fürchten, als Nazis denunziert zu werden.
Sie haben öffentlich gesagt, Deutschland könnte an der Einwanderung zerbrechen. Was meinen Sie damit?
Wir stehen vor einer gewaltigen politischen Aufgabe. Die Einwanderung wird nicht gesteuert, wir wissen nicht genau, wer kommt und was mit unserer Gesellschaft geschieht, wenn junge, ungebildete und aggressive Männer keine Perspektive haben. Schon jetzt ist die Stimmung in den Aufnahmelagern und Containersiedlungen angespannt. Frauen werden dort sexuell belästigt und bedroht, in manchen Regionen ist die Staats­gewalt schon gar nicht mehr präsent, um Ordnung zu erzwingen. Und was geschieht, wenn im nächsten Jahr weitere 1,5 Millionen Einwanderer kommen? Wo werden sie wohnen? Wir müssen erst jene in Arbeit und Brot bringen, die bereits hier sind. Es ist fahrlässig, unter diesen Umständen die Grenzen offenzuhalten.
Was würde andernfalls passieren?
In Dresden und Erfurt herrscht eine Pogrom-Stimmung auf den Strassen. Ich weiss nicht, ob den Politikern in Berlin klar ist, wie dort über die Republik geredet wird. Ich will nicht, dass die Rechtsextremen die Deutungs­hoheit erlangen. In Ostdeutschland ist diese Gefahr real, und ich sehe mit Entsetzen, dass die politische Elite dieses Problem mit Arroganz und Weltabgewandtheit ignoriert.
«Pogrom-Stimmung» ist ein starker Begriff. Wie kommen Sie darauf?
Hören Sie doch, was die Rechtsextremen auf den Anti-Migrations-Demos skandieren: «Merkel an die Wand», «Das Pack muss weg», «Ungeziefer». Die Leute trauen sich, diese Parolen in die Kameras zu rufen. Sie verstecken sich nicht mal mehr. Das war vor einem Jahr noch anders. Der Unmut entlädt sich nun in Hass und Wut.
Offenbar spielt die politische Korrektheit, die Sie beklagen, in diesem Umfeld keine Rolle – im Gegenteil: Die Leute ­setzen sich in extremster Weise über sie hinweg.
Die politisch korrekte Rede gab es in der DDR nicht. Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind, halten sich oftmals nicht an die Sprachregelungen, die im Westen der Republik verinnerlicht wurden. Auch wollen Menschen, die in der Diktatur aufgewachsen sind, nicht bevormundet werden. Sie haben erlebt, was es heisst, wenn gelogen wird, wenn die Regierung bei Regen erklärte, es scheine die Sonne.
Wenn Frau Merkel über die Einwanderung sagt: «Wir schaffen das» – fühlen sich diese Bürger dann belogen?
Sie fühlen sich belogen, weil sie jeden Tag sehen, dass man es nicht schafft. Sie sehen, dass Probleme totgeschwiegen, wie Kritiker stigmatisiert werden. Das kennen sie, das haben schon die SED-Bonzen gemacht. Darum reagieren sie so aggressiv, aber sie tun es in einer Sprache, die sich um das Gebot der politischen Korrektheit nicht kümmert. Frau Merkel als Ostdeutsche müsste das wissen, aber sie nimmt nicht mehr wahr, was geschieht.
Deshalb haben Sie entschieden, es ihr über die Medien zu sagen?
Ich habe im Sommer zwei Wochen lang jeden Abend die «Tagesschau» geschaut und mich gefragt: Leben wir in einer Diktatur? Müssen Journalisten im Fernsehen weinen und «Herzlich willkommen» rufen? Müssen Journalisten jeden Abend die Zuschauer darüber informieren, wie sie sich Ausländern gegenüber zu verhalten haben und was moralisch geboten ist? Ich hatte den Eindruck, einer Kampagne ausgesetzt zu sein. Irgendwann habe ich eine Flasche Wein getrunken, meine Gedanken aufgeschrieben und den Text an die FAZ geschickt. So ist das entstanden, ganz spontan.
Sie geben vor, für die deutsche Coiffeuse und die sogenannt kleinen Leute zu sprechen. Weshalb sollen gerade Sie deren Nöte kennen?
Ich kenne diese Nöte zunächst einmal von meiner eigenen Coiffeuse. Sie hat mir erzählt, dass sie mit ihrem Kind auf der Strasse stünde, würde ihr die Wohnung gekündigt. Ich spreche mit Menschen auf der Strasse. Die Meinungen von Akademikern zu diesem Thema finde ich völlig uninteressant. Meine Frau arbeitet in einer Berliner Bahnhofsmission. Sie kümmert sich um Obdachlose. Dort kommen die Probleme an: Arbeitslose, die sich in Berlin keine Wohnung mehr leisten können. Manche sagen: «Wie bitte, man kann ohne Pass einreisen und bekommt eine Wohnung zugewiesen, Hartz IV und eine Krankenversicherung, und ich bekomme nichts? Das kann doch nicht sein!» Diese Leute sind wütend.
Sie haben geschrieben, Deutschland habe seine Souveränität aufgegeben. Polemisieren Sie einfach oder existiert Deutschland als Staat tatsächlich nicht mehr?
Wenn ein Staat, der durch Grenzen definiert ist, erklärt, diese Grenzen gebe es nicht mehr, man könne sie nicht mehr schützen, sie seien gleichgültig, und man brauche keinen Pass, um sie zu überschreiten, dann ist ein konstitutiver Teil der Souveränität aufgegeben worden. Der deutsche Staat hat keine Hoheit mehr über seine Grenzen! Frau Merkel hat erklärt, dass die Grenzen nicht geschützt werden können.
Deshalb werfen Sie Ihr vor, den Amtseid gebrochen zu haben?
Die Kanzlerin hat kein Mandat, Deutschland nach Belieben zu verändern. Die Aufgabe nationaler Souveränität, die Aufhebung von Grenzen, die Einführung des Euro – das alles sind Fragen, die dem Bürger zur Entscheidung vorgelegt werden müssen. Eine Parlamentswahl überträgt der Regierung noch kein Mandat, Hoheitsrechte an Dritte abzutreten – das war immer meine Auffassung.
Sie fordern also Volksabstimmungen.
Ja, natürlich! Parteien sind nicht mit dem Programm angetreten, die Gesellschaft einfach nach Belieben zu verändern. Nun müssten die Karten neu gemischt werden. Das geschieht aber nicht, und deshalb sind die Bürger wütend. In Berlin treffe ich viele Menschen, die nicht verstehen, was mit ihnen geschieht, darunter viele Einwanderer, die schon lange hier leben.
Ihre Frau ist Iranerin.
Sie versteht dieses Land nicht mehr. Sie sagt: «Ihr setzt die Zukunft dieser Einwanderungsgesellschaft aufs Spiel, wenn ihr nicht aufhört mit diesem weltfremden Willkommens­gerede.» Sie will hier nicht haben, weshalb sie selbst einmal ihr Land verlassen musste. Einwanderer haben weniger Probleme, dies ganz offen zu sagen.
Gegner der direkten Demokratie in Deutschland verweisen auf die Bilder, die auch Sie angesprochen haben: Dresden, dieser Mob, der sich da versammelt. Man müsse die Weimarer Erfahrung bedenken.
Das ist ganz falsch. Das wird nur hervorgebracht, um den Leuten zu sagen, dass die direkte Demokratie nicht gut für die Bürger sei, dass es besser sei, wenn Politiker für sie entscheiden. Aber diese Politiker zerbrechen gerade an der Aufgabe, das Land zu steuern und die Probleme zu lösen. Deutsche Politiker sind überwiegend Staatsbeamte, die die Welt aus der Perspektive einer Behörde sehen und sich den Bürger nur noch als Objekt des Staates vorstellen können. Freiberufler, Handwerker, Unternehmer oder Professoren finden Sie kaum noch in deutschen Parlamenten.
Sie müssen das nächste Mal vielleicht FDP statt SPD wählen.
Ich wähle nicht SPD.
In Zeitungen war anderes zu lesen.
Ich habe nur gesagt, ich würde SPD wählen, wenn sie die soziale Frage wieder in das Zentrum ihrer Politik stellte und der ungesteuerten Einwanderung Grenzen setzte. Ein Journalist der NZZ hat in einem sehr klugen Artikel geschrieben, dass es in Ländern mit rechtskonservativen, einwanderungskritischen Parteien weniger Gewalt gegen Ausländer gebe. Denn dort, so das Argument, lasse sich die Wut der Bürger kanalisieren und zivilisieren. Ich halte dieses Argument für sehr überzeugend.
Es gibt in Deutschland diese Ventile ebenfalls, sie sind aber immer gleich sehr braun und extrem.
Pegida ist kein Ventil. Der Schweizer Journalist hat gesagt: Protest muss zivilisiert werden. Das geschieht erst, wenn eine Partei im Parlament die Probleme aufgreift und Vorschläge zu ihrer Bewältigung macht. Im Parlament können Sie keine Galgen aufstellen, dort müssen Sie sich an der Lösung von Problemen versuchen. In der Schweiz erfüllt die SVP diese Funktion.
Würden Sie die wählen?
Nein, ich würde sie wahrscheinlich nicht wählen. Mir fehlen konstruktive Vorschläge, wie die Einwanderer­gesellschaft aussehen soll. Mit der Abwehr von Menschen ist es ja nicht getan. Aber die Funktion einer SVP im Parteiensystem ist von grosser Bedeutung, weil sie ein Korrektiv für die anderen Parteien ist. Blocher ist doch kein Rechtsradikaler. In Deutschland sind Sie ein Rechtsradikaler, wenn Sie pünktlich zur Arbeit gehen. Das ist grotesk. Blocher ist ein erfolgreicher, konservativer Unternehmer.
Die Basler Zeitung gehört unter anderem Christoph Blocher.
Ich weiss.
Sie reden wie Blocher, distanzieren sich aber von der SVP. Ähnlich ambivalent scheint uns Ihre Meinung über Thilo Sarrazin zu sein, der mit seinem Bestseller «Deutschland schafft sich ab» ähnliche Töne anschlug wie Sie.
Ich glaube, Sarrazin träumt von einem ethnisch homogenisierten Deutschland. Das ist aber vorbei, das wird es nicht mehr geben.
Auch Sie reden von einer kulturellen Gemeinschaft, die das Gleiche gelesen, das Gleiche erlebt hat. Das mahnt stark an Sarrazin, klingt nach einem geschlossenen Kulturraum.
Nein, mein Ideal sind die USA. In den USA hat die Einwanderergesellschaft funktioniert, weil Generationen von Einwanderern durch diese amerikanische Zivilisierungsmaschine durchgegangen sind: durch das Baseballteam, durch die amerikanische Schule, durch gelebten Patriotismus. Die Amerikaner sind stolz auf ihre Nation, und sie bieten ihren Einwanderern positive Identifikationssymbole an. Einwanderung kann gut funktionieren, wenn es ein Zusammengehörigkeitsgefühl gibt.
Und Deutschland bietet das nicht?
Nein, Deutschland bietet den Einwanderern vor allem negative Identifikationssymbole, nichts, worauf man gemeinsam stolz sein könnte. Deutschland ist auf seine national­sozialistische Vergangenheit fixiert.

Das Interview mit Jörg Baberowski führten Erik Ebneter und Benedict Neff. Es ist in der Basler Zeitung erschienen

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